Kreativagentur & Strategieberatung
[3,5 Min Lebenszeit] Wie das aktuelle Beispiel eines relativ bekannten Saftherstellers anschaulich zeigt, sehen einige professionelle oder weniger professionelle Kommunikator:innen gezielte Provokation als probates Mittel der Kommunikation an.
So weit, so gut. Provokation kann tatsächlich ein grandioses Mittel der Kommunikation sein, wie beispielsweise die „Kaepernick“-Ad von Nike eindrucksvoll unter Beweis stellt (Aktienkurs während Boycott-Aufrufen):
https://www.youtube.com/watch?v=eD6yYnZAZcM
Wenn Provokation aber als Stilmittel innerhalb der Markenkommunikation zum Einsatz kommt, muss sie sich an gewisse Regeln halten. Der Safthersteller dient in diesem Fall als Negativbeispiel, deshalb hier zum besseren Verständnis ein chronologischer Umriss der Geschehnisse:
Während Digital-Horst (im Netz seit den 80ern), der italienische Rechtspopulist Matteo Salvini und Yung Sebi Kurz über die Neugründung von Achsenmächten diskutieren und zeitgleich zahlreiche Geflüchtete im Mittelmeer ertrinken, wird mit Sprüchen wie den oben genannten ein Lifestyle-Getränk an luxusorientierte, gesundheitsbewusste Hipster im 15. Bezirk Wiens verkauft.
Derartiges Zeitgeschehen muss jede Marke, die politisch-relevant kommunizieren möchte, auf dem Schirm haben, entsprechend berücksichtigen und dabei auch für den richtigen Umgangston sensibilisiert sein. Ist sie es nicht, wird der Point-of-no-Return der Krisenkommunikation überschritten, bevor das erste Plakat hängt. Wie gesagt: Provokation ist vollkommen okay – es braucht nur unbedingt das richtige Feingefühl für die eigene Dynamik, die dieses Anwendungsfeld mit sich bringt.
https://www.facebook.com/true.fruits.no.tricks/posts/10156201603675914
https://www.facebook.com/true.fruits.no.tricks/posts/10156203725490914
Nun ans Eingemachte und das auch kurz und knapp: Egal ob jemand mit rassistischen Botschaften wirbt und dabei betont, dass man damit kritisch auf Rassismus aufmerksam machen wolle oder ob jemand eindeutig sexistisch wirbt (750ml-Flaschen-Motiv mit dem Slogan: „Abgefüllt und mitgenommen“) und hinterher erzählt, man habe auf den Wiedergebrauch der Flasche aufmerksam machen wollen – am Ende bleibt das Ganze rassistischer/sexistischer Mist. Mit solchen Marken verhält es sich so, wie mit dem einen, leicht unangenehmen Onkel Werner auf jeder Familienfeier, der immer wieder unterschwellig-rassistische Witze reißt, aber nicht müde wird zu betonen, dass er ja auch gerne mal „beim Türken“ essen gehe und das alles ja schließlich nicht so gemeint sei. Mensch Kind, lach doch mal. Nein – das Kind lacht nicht. Das Kind hat allenfalls einen #ClapForCrap für Onkel Werner übrig.
Eine Marke kann – ebenso wie eine Person – nicht unangemessen provokant um die Aufmerksamkeit seiner Umwelt buhlen, hinterher alles relativieren und dann davon ausgehen, man kaufe ihr das Ganze noch ab. Natürlich sorgt man in sozialen Medien mit dieser Art Kommunikation schlagartig für Aufmerksamkeit und Interaktion. Natürlich wird man kurzzeitig zum Gespräch aller relevanten Branchenmedien, kann die Kommentare im Minutentakt zählen und bei Stellungnahmen immer brav den eigenen Namen ins Spiel bringen. Der Clipping-Dienst freut sich (was auch der Grund ist, weshalb der Name der Smoothie-Bude hier nicht einmal genannt wird).
Was Kommunikation dieser Art allerdings fehlt, ist der moralische Anstandskompass: Markenreputation nährt sich auch aus der Langlebigkeit bzw. Nachhaltigkeit ihrer Kommunikationsstrategie – nicht nur aus den Peaks. Wer mit diesem Kapital leichtfertig wirtschaftet, wird die Folgen früher oder später zu spüren bekommen: Der Markenwert erleidet Schaden, der Absatz sinkt, die bisherige Preispolitik kann daraufhin immer weniger beibehalten werden, folglich muss die Qualität gesenkt werden und am Ende wird notgedrungen an Coca-Cola verkauft und Onkel Werner sitzt am Ende alleine an seinem Tisch, weil ihm keiner mehr zuhören mag. Und was macht Onkel Werner? Er fängt an zu schimpfen und all diejenigen zu beleidigen, die ihm nicht mehr zuhören wollen. Ihn selbst trifft auf jeden Fall keine Schuld. Schließlich gibt er nach dem kostenlosen Chai immer genug Trinkgeld.
Übrigens 1: Der Safthersteller hat inzwischen als Reaktion auf die Rassismus-Vorwürfe alle schwarzen Flaschen aus dem Sortiment gekickt – sie hätten sich ohnehin zu schlecht verkauft. Dass der schlechte Absatz ein direkter Effekt der eigenen Kommunikation und somit auch Symbol des Protestes der Zielgruppe ist, war offenbar kein Teil der Überlegung. Dass es ein wesentlich klügerer Move gewesen wäre, einfach alle Flaschen für eine bestimmte Zeit schwarz zu gestalten, um wirklich ein Zeichen für Gleichberechtigung zu setzen und zu zeigen, dass der „Inhalt“ zählt, statt obendrein die schwarze Flasche von den Kühlregalen auszugrenzen, kam dem Saftladen auch nicht in den Sinn. Schade.
Übrigens 2: Während der Umsatz des Saftherstellers von 2016 auf 2017 noch um knapp 11,5 Millionen Euro anstieg, waren es von 2016 auf 2017 nur noch rund 3 Euro Millionen Umsatzwachstum. Für das auf das Shitstorm-Jahr 2017 folgende Jahr 2018 liegen leider noch keine Zahlen vor. Die gezielte Provokation des Shitstorms könnte, angesichts des schwächelnden Umsatzergebnisses, bei flüchtigem Hinschauen fast als Griff nach dem letzten Strohhalm wahrgenommen werden.